Wie die Kürbiskerne und Granatäpfel nach Deutschland kamen und was dann mit ihnen geschah

Ein persönlicher Rückblick auf das runde Zimmer am 16. Juni 2012

Auswanderung und Zusammenleben mit einer fremden Kultur“ – so lautete unser online ausgesuchtes Thema. Aber was bitte heisst „fremde Kultur“? Was heisst Zusammenleben? Und wie und warum hat die Auswanderung uns zu anderen Menschen gemacht?

Abbas Abtahi, DIWAN-Mitglied und Facharzt für Psychiatrische Psychotherapie, stellte erst einmal eine Regel für die Diskussion – und für unseren Alltag – auf: „Die höchste Form der Intelligenz ist es, zu beobachten, ohne zu urteilen“. Und dann schnappte ich noch ein Zitat auf: „Wir alle befinden uns in verschiedenen Flüssen, deren Strömungen und Strudel variieren. Niemand befindet sich am sicheren Ufer“.

Oha. Dabei dachte ich, als Deutscher sei man stets am sicheren Ufer. Nun gut. Ich beobachtete also. Und lernte: Als Mensch habe ich Grundbedürfnisse: Grundbedürfnisse nach Orientierung, Kontrolle, Kohärenz, Lust, Bindung und Selbstwerterhöhung. Das alles wird in Frage gestellt, wenn ich auswandere. Ich verlasse meinen stabilen Sinnzusammenhang. Einen Teil meiner Identität, die ja auch so sehr von außen bestimmt wurde, streife ich notgedrungen ab. Und muss mir den Sinn neu erarbeiten. Und dann…kommt es ganz genau darauf an, ob ich mich als „Gestaltender“ oder als „Opfer“ begreife.

Hier einige Zitate aus einer spannenden und sehr langen Debatte:

Ich bin eigentlich im falschen Land. Ich hab´mir nie ausgesucht, hier zu leben. Ich wurde als Kind hierher gebracht. Die Deutschen sind für mich Kaltblüter, die eine riesige Distanz haben zur eigenen Familie, zu allen Gefühlen. Und dann gibt es die Italiener und die Spanier. Die sind Warmblüter. Die können zusammen lachen und weinen. Meine Strategie hier ist: Ich muss hier lernen, mit der Einsamkeit klar zu kommen. Einsamkeit ist das Thema hier. Und es wird immer eine gewisse Distanz zwischen mir und meinen Freunden geben. Es ist ein Kampf. Und hier Karriere zu machen ist für mich schwierig….Als ich das alles irgendwann mal meinem Onkel im Iran erzählte, sagte er zu mir, er wolle das alles nicht hören. Er wolle nur hören, wie ich es geschafft hätte, hier in Deutschland zurechtzukommen.“

Wer so denkt, der fühlt sich als Opfer. Man hat immer eine Wahl. Eine Krise ist immer eine Chance. Und in genügend iranischen Familien gibt es auch ´Kaltblüter´. Wir sollten die eigene Identität nicht romantisieren.“

Ich traue mich seit kurzem, im Büro laut persisch zu sprechen, am Telefon, vor den deutschen Kollegen. Das habe ich mich als Jugendliche hier nie getraut. Da müssen nun eben die deutschen Kollegen damit zurechtkommen! Dieses Land verändert sich auch. Es wird bunter. Es gibt jetzt Kürbiskerne und Granatäpfel im Supermarkt. Auswanderung ist kein einseitiger Prozess. Auswanderung und Integration ist wechselseitig! Die Frage ist, ob die Deutschen in diese Einwanderungsgesellschaft integriert sind?“

Ich bin erst vor kurzem ausgewandert. Und habe eine deutsche Familie zum Essen eingeladen, und mich mit ihr mit Händen und Füßen unterhalten. Aber einen Tag später haben sie mich auf der Straße nicht einmal richtig gegrüßt. Das war seltsam!“

Was bin ich hier? Welchen Status habe ich? Wenn ich nicht für mich kläre, dann wird meine Tochter, die hier geboren ist, mit den gleichen Fragen durchs Leben gehen, und sie wird irgendwann ein Problem bekommen. Deshalb habe ich für mich entschieden: Deutschland ist meine Heimat. Und Persisch und Deutsch und Azeri meine Sprachen! Es ist immer ganz wichtig, sich zu fragen: Wer bin ich, wo will ich hin?“

Mein Leben in Deutschland ist immer eine Herausforderung gewesen. Ich habe nie zurückgeblickt, sondern immer die Herausforderung gesucht. Und trotz aller Nostalgie: Ich hab mehr mit einer deutschen Geschäftsfrau gemeinsam als mit einer iranischen Bäuerin!“.

Mein Iranisch-Sein kann mit deinem Iranisch-Sein ganz verschieden sein! Wir alle leben in unserer eigenen Subkultur. Aber manchmal gibt es kulturelle Schnittmengen!“

Ich war 22, als ich nach Deutschland kam. Im Iran war ich Mitglied eines Literaturtreffs. Und als ich nach Deutschland kam, da suchte ich mir irgendwann auch einen Literaturtreff. Und irgendwie tat diese Kontinuität mir sehr, sehr gut. Ich suchte mir meinen eigenen kleinen Kulturkreis aus.“

Witzig! Was ihr hier so erzählt, das könnte meiner Mutter passiert sein. Von ihr höre ich auch solche Sätze. Die gleichen Erfahrungen mit den Deutschen. Echt witzig!“ (sagte ein deutscher Teilnehmer mit koreanischer Mutter)

Das Einwanderungsland Kanada gleicht einem Obstsalat. Und die USA gleichen einer Konfitüre. Und wir hier in Deutschland…hier leben wir doch in einer ganz schön polarisierten Gesellschaft.“

In den USA gibt es Communities. Die sind so stark wie Interessengemeinden. Diese Interessengemeinden bilden die Schnittstelle zwischen Emigranten und Einwanderungsland. Das ist gut für den Integrationsprozess. Hier in Deutschland fängt der Prozess des „Community-Building“ erst langsam an….“

Das Problem ist, dass der größte Teil der Iraner in Deutschland eine schweigende Minderheit ist. Und das Schweigen trägt zum wechselseitigen Prozess der Integration nicht bei.“

Im Jahr 2050 werden die Bio-Deutschen in der Minderheit sein. Wenn das so weiter geht mit dem Geburtenrückgang. Der Dialog muss von uns ausgehen. Wir müssen schauen, dass keine neuen Mauern gebaut werden!“

Wir brauchen einen Raum, um herauszufinden, wer wir sind, was unsere Kultur, unser Iran, unser Iranisch-Sein ist.“

Ich sehe im Iran eine große tausendjährige Kultur, weitergegeben von Generation zu Generation. Aber hier in Deutschland da sehe ich viele kleine Kulturen. Eine Unternehmerkultur. Eine Städtekultur. Eine Vereinskultur. Eine Expertenkultur. Was bitteschön ist denn die ´deutsche Kultur´?“

Über Bildung kann man eher einen gemeinsamen Nenner mit den Deutschen finden als durch die gemeinsame Nationalität.“

Ich sehe realistisch auf Iran. Und auf Deutschland. Es nützt nichts, den Iran oder meine iranische Vergangenheit romantisch zu verklären.“

Es gibt doch hier eine Menge Kneipen, wo Ausländer unerwünscht sind. Oder man hört da: ´Wir sind nicht gegen Ausländer. Wir haben nur was gegen Türken!´So eine Aussage wurde doch in den USA eine Revolution hervorrufen. Oder?“

Was die Auswanderung aus mir gemacht hat? Ich bin geschmeidig geworden. Das einzig Beständige ist der Wandel.“

Kultur ist der Grad der geistigen Fruchtbarkeit einer Gesellschaft.“

Deutschlands Leitkultur ist eigentlich…der Kapitalismus! Und mal ehrlich: Gastfreundschaft à la Persien gibt es doch auch unter den Deutschen nicht.“

Warum habe ich den Eindruck, dass die Türken hierzulande richtig zusammenhalten, und die Iraner hierzulande gar nicht? Warum zieht jeder Iraner so eine hohe Mauer um sich herum?“

Hier im DIWAN können wir lernen, wie wir mit unseren Subkulturen die deutsche Kultur bereichern können.“