Ein persönlicher Rückblick

Es war der 6. August 2011. Ein Samstag. Der Tag, an dem zum ersten Mal „Das Runde Zimmer“ in Köln stattfinden sollte. Zuvor hatten wir Themenvorschläge via Facebook gesammelt und die Leute darüber abstimmen lassen. Die Mehrheit hatte sich für das Thema „Wer ist ein Iraner? Was ist ein Iraner? Wo ist unsere Heimat?“ entschieden.

„…Wenn man wissen will wer Iraner ist, sollte man die Antwort nach der Frage suchen: „Wer ist kein Iraner!…“ (Ramin Jahanbegloo)

Eine Stunde bevor „Das Runde Zimmer“ begann, waren wir, die Organisatoren, sowie unsere Gäste aus Berlin von der Simorgh-Gruppe, die dieses System entwickelt haben, bereits vor Ort. Die Berliner wollten uns bei der Geburt unserer Veranstaltungsreihe assistieren. Ich muss gestehen, dass ich nervös war. Werden genug Leute kommen? Wird die Technik funktionieren? Wird eine fruchtbare Diskussion entstehen?

Wir hatten alle Tische beiseite geräumt, einen Sitzkreis gebildet und somit dem Namen der Talkrunde „Das Runde Zimmer“ die Ehre erwiesen. Das Thema, die noch zur Verfügung stehende Redezeit sowie die Liste der angemeldeten Redner wurden auf eine Leinwand projiziert. Jeder erhielt einen Zettel mit den „Regeln des Runden Zimmers“. Dann konnte es endlich los gehen.

Wie üblich bei Iranern ging es später los als 17 Uhr. Ich begann an unserer Kommunikation zu zweifeln. Doch dann, 15 Minuten später, füllte sich der Raum wie im Zeitraffer. Die Mischung war spannend: Jung und Alt, jene, die bereits seit langem in Deutschland leben und jene, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. Eine sehr bunte Gesellschaft! Unser Diskussionsthema war zuvor über die Facebook- Seite des „Otaghe Gerd“ gewählt worden.

Die Teilnehmer hatten mehrheitlich beschlossen, die erste Sitzung dem Thema „Wer ist Iraner? Was ist iranisch?“ zu widmen.

 

 

 

 

Da ich niemanden gefunden habe, der freiwillig einen Impuls-Vortrag zu unserem Thema halten wollte, sammelte ich am Tag zuvor einige Daten und Fakten aus Enzyklopädien, Geschichtsbüchern und Referaten, fasste sie zu einem zehnminütigen Aufsatz zusammen und trug ihn zur Eröffnung der Runde vor. Eine meiner Quellen war Ramin Jahanbegloo. 2008 sagte er bei einem Vortrag an der UCLA zu diesem Thema: „…Wenn man wissen will, wer Iraner ist, sollte man die Antwort nach der Frage suchen: „Wer ist kein Iraner!…“

Weiterhin sprach er vom „Selbstzentrismus“ alter und starker Nationen wie Iran. Von einem „Kosmo- Zentrismus“, bei dem sich die großen Nationen als Mittelpunkt der Welt sahen.

„…Sie waren mächtig und -verglichen mit ihren Nachbarn- fortschrittlich und deshalb fehlte die Neugierde, sich umzuschauen und ihren Entwicklungsstand mit dem von anderen Nationen zu vergleichen. Sie waren das Maß aller Dinge. Sie bestimmten die Normen und die Grenzen des Akzeptablen. Deshalb fanden die Diskussionen auch nur innerhalb der Gesellschaft statt. Es entstand selten ein Austausch mit anderen Gesellschaften. Wenn nun diese großen Gesellschaften in die Moderne eintreten, aber die Normen, der Horizont der gesellschaftlichen Diskurse mit der Moderne nicht mehr Stand halten können und sie es auf der anderen Seite nie gelernt haben durch einen Diskurs mit der Außenwelt neue Impulse aufzunehmen, fällt diese Gesellschaft in eine Krise. Sie ist auf der einen Seite von sich selbst abgeschnitten und kann sich durch eigene Kraft nicht weiter entwickeln. Und auf der anderen Seite ist sie nicht in der Lage, von Anderen zu lernen.

„ Muss der postmoderne Mensch sich in Zeiten der Globalisierung nicht vom „altbackenen“ Begriff der „Nationalen Identität“ lösen? “

Im Falle Irans kommt erschwerend hinzu, dass das Weltbild der Iraner immer dualistisch war: Göttlich oder teuflisch, heilig oder böse. Eine solche Identität sieht sich immer als rein an und das Andere als unrein. Eine Identität, die sich als rein, einzigartig und absolut sieht, hat immer etwas mit Gewalt zu tun. Sie fragen sich warum? Weil sie die Anderen immer ablehnt. Wenn wir also das „Iraner sein“ als eine dualistische Ideologie betrachten, werden wir uns auf der einen Seite gegen uns selbst richten und zugleich gegen Andere. Langfristig werden wir uns selbst zerstören. Wenn man aber das „Iraner sein“ gekoppelt mit „nicht Iraner sein“ sieht, wird der Begriff beweglich und tolerant. Denn je nach regionalen, nach geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen kann diese Frage neu und anders beantwortet werden. Diese Definition sucht immer den Kontakt und den Austausch mit anderen Kulturen und beschreibt sich über sie…“

Das waren die Passagen von Jahanbegloos Vortrag, die ich an diesem Tag zitierte. Anschließend war die Bühne frei für die Diskussion.

Zunächst begann alles langsam und behutsam. Nur Wenige meldeten sich zu Wort. Doch mit der Zeit brachten sich immer mehr Leute ein. Die Liste der angemeldeten Redner passte irgendwann nicht mehr auf die Leinwand und die Stoppuhr lief heiß. Selbst die zehn Minuten Pause wurden zum Diskutieren genutzt.

Wo ist der Platz der ethnischen und religiösen Minderheiten bei der Definition einer kulturellen Identität? Was ist mit uns hier in der Diaspora? Wie können wir unser Sein und unsere Zugehörigkeit definieren? Muss man das überhaupt? Muss der postmoderne Mensch im Zeitalter der Globalisierung sich nicht vom „altbackenen“ Begriff der „nationalen Identität“ loslösen? Wie ist zwischen kultureller und nationaler Identität zu unterscheiden? Wie wichtig ist die Selbstfindung und Selbstdefinition bei einem Dialog mit Anderen? Was ist mit der Generation, die hier geboren ist und mit Iran nichts zu tun hat und trotzdem kulturell etwas „iranisches“ in sich trägt? Fühlen sie sich auch als Iraner oder Iranerinnen?

Dies waren nur einige der Fragen, die an jenem Nachmittag heiß, aber in einer extrem höflichen und warmherzigen Atmosphäre diskutiert wurden. Und natürlich haben wir keine endgültigen Antworten auf all diese Fragen gefunden, aber vielleicht war das auch genau richtig so: Vielleicht ging es einfach nur darum zu sehen, wie viele unterschiedliche Beschreibungen von dem Begriff „kulturelle Identität“, Zugehörigkeit“ und „Heimat“ unter uns existieren. Wie wichtig oder unwichtig diese Begriffe für jeden von uns sein können. Zu sehen, dass manche von uns, die erst kürzlich Iran verlassen haben, sich mehr als „Weltbürger“ sehen als manche, die bereits seit Jahrzehnten im Ausland leben.

Vielleicht war das Erlebnis, dass es Punkte gibt, die uns sowohl vereinen als auch divers und unterschiedlich sein lassen, das Beste, was uns hat passieren können.

Anschließend gingen wir gemeinsam essen. Chelo Kabab. Wir gingen dorthin, ohne uns zu abzusprechen! Das war klar. In diesem Punkt waren wir alle seelenverwandt….