Ein Film von Arash Riahi
Ein persönlicher Rückblick einer Zuschauerin, Oktober 2011
„Die einzige Information, die ich an dem Abend über Riahi und seinen Film „Exile Family Movie“ hatte, war, dass er von einer Familie im Exil und von einem Wiedersehen diverser Familienmitglieder in Mekka handelt – was ich mir nur schwer vorstellen konnte.
Ich bin selber noch im Iran geboren, lebe aber seit ca. 25 Jahren mit meinen Eltern und meinem Bruder in Deutschland. Auch wir sind/waren politische Flüchtlinge und somit Exiliraner. Obwohl ich noch sehr jung war, als wir das Land verlassen haben, weiß ich, was es bedeutet, im Exil zu leben. Vor allem aber, was es bedeutet, von einem Großteil der Familie, den Großeltern, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen getrennt zu sein und sie nur aus Telefonaten, Videos, Fotos und Briefen zu kennen. Schließlich weiß ich auch, wie es ist, zwischen zwei Welten zu leben, in Europa aufzuwachsen, die Freiheiten zu genießen, an dieses Leben gewöhnt zu sein und doch irgendwie anders zu sein.
All dies wurde mir an dem Abend nochmals durch diesen Film präsent. Arash Riahi hat es geschafft, durch die Vielzahl an Mitschnitten seines Lebens und seiner Familie aufzuzeigen, wie schwierig diese Trennung von der Familie und von seinem Heimatland gewesen sein muss, gerade für die erste Generation, also für die unserer Eltern.
Bei vereinzelten Szenen, in denen Briefe von Verwandten unter Tränen vorgelesen werden, Videos von Trauerfeiern gezeigt werden und Fotos von Verstorbenen, von denen man sich nicht verabschieden konnte, weil man einfach nicht vor Ort war, flossen auch, mit Sicherheit nicht nur bei uns in der Reihe, ebenso unaufhaltsam die Tränen. Immer wieder musste ich mir vor Augen führen, wie das wohl für unsere Eltern damals war. So vieles traf schließlich auch auf unsere Familie zu.
Ich selbst konnte mich vor allem mit der Rolle von Riahis Schwester identifizieren. Durch sie wurde im Film der Spagat zwischen den zwei Kulturen deutlich (der westlichen, in der sie aufgewachsen ist und der persischen, die vor allem durch ihre noch im Iran lebenden Verwandten gelebt wurde). Einerseits konnte sie so viele Dinge am Verhalten der gerade neu kennen gelernten Verwandten überhaupt nicht nachvollziehen, geschweige denn verstehen, andererseits hatte sie scheinbar doch eine sehr tiefe Bindung zu ihnen, da man ihr immer wieder anmerkt, wie nah ihr all die Geschehnisse um sie herum gehen und wie sehr sie sie berühren und beschäftigen. Erstaunlich war jedoch, wie Riahi es geschafft hat, uns neben all dem Herzzereissenden, neben dem Nachdenklichen und dem zu Tränen rührenden ebenso zum Lachen zu bringen. (Und bei Lachen meine ich so richtig lautes persisches Lachen aus vollem Herzen!)
Besonders die Szenen, in denen die Merkmale und damit auch die Unterschiede zwischen all den Verwandten aufgezeigt werden, haben das gesamte Kino zum Toben gebracht. (Ich möchte nur einmal an die Tante erinnern, die in den USA lebt und ihr Leben mit dem einer Seifenoper vergleicht oder Arashs Vater, der das Öffnen eines Einmachglases mit Sauerkirschen mit einem „Kampf“ gegen die Gesellschaft gleichsetzt oder an die Szene, wo Arash seine Großeltern interviewt und die Oma dem Opa einreden möchte, dass der Beweggrund, sie zu heiraten, sie ganz allein war.)
Ich bin selten aus dem Kino gegangen und habe mich so ergriffen und gleichzeitig erfreut gefühlt. Und auch wenn Riahi im Interview gesagt hat, dass man nach dem Film längst nicht seine ganze Familie kenne, hat man doch eine unglaubliche Sympathie für diese entwickelt und würde am liebsten noch ein wenig mehr sehen.
Schön war es aber vor allem, weil man noch ein mal mehr an die eigene Herkunft und die eigene Familie erinnert wurde und an das unglaubliche Glück, auch so eine riesige Großfamilie zu haben, die trotz all der Unterschiede und all der neuen, sie beeinflussenden Kulturen zusammenhält, ganz genau so wie die einzelnen Finger einer Hand.“
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Bildergalerie
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Synopsis des Films
Eine Familiengeschichte – normal, verrückt und außergewöhnlich zugleich. Ein Film über Exil und Heimat, über Eltern, Großeltern, Geschwister und all die anderen nahen und fernen Verwandten einer persischen Großfamilie, die teils nach Europa und Amerika emigriert, größtenteils aber in Iran geblieben ist.
Exile Family Movie dokumentiert – angefangen von den frühen 90ern bis zu Beginn des neuen Jahrhunderts hinein – das Bestreben einer zerrissenen Familie, mit dieser Zerrissenheit fertig zu werden und erlaubt so einen seltenen Blick auf eine „exemplarische Flüchtlingsgeschichte“.
Allen Gefahren zum Trotz gibt es nach 20 Jahren ein geheimes Wiedersehen an einem für die iranische Obrigkeit unverdächtigen Ort: in Mekka. Man kommt aus Amerika, Schweden, Österreich und dem Iran angereist und es wird gelacht, gestritten, gekocht, gefeiert. Es gibt übermäßig viele Umarmungen und Küsse, und doch ist es auch ein Aufeinanderprallen der muslimischen und der westlichen Gesellschaften.
Die ursprünglich privaten Erinnerungsvideos setzen sich zu einer fröhlichen und berührenden Dokumentation über eine sympathische Großfamilie zusammen. „Vor der ‚Pilgerfahrt‘ war das Material nur für meine Familie von Interesse, aber durch das Zusammentreffen dreier Kulturen – Amerika, Europa und Islam – existierte plötzlich ein viel größerer Spannungsbogen, der eine Menge über Vorurteile, Akzeptanz und Verständnis zu erzählen vermag“, erzählt Arash.
Ausgezeichnet u.a. mit der Goldenen Taube für den besten internationalen Dokumentarfilm, DOK Leipzig 2006, Bester österreichischer Dokumentarfilm, Diagonale Graz 2006, Silver Hugo für den besten Dokumentarfilm, Film Festival Chicago 2006.