Ein persönlicher Rückblick auf das DIWAN-Debattierforum am 21. Januar 201.

Sind wir konfliktfähig? Diese Frage stelle ich mir oft, wenn ich in einer Gemeinschaft arbeite. Mit meinen Familien-Erinnerungen, die irgendwo schlummern, habe ich gerade in einer iranischstämmigen Gemeinschaft Angst vor nicht konfliktfähigen Menschen. Gemeinschaften, in denen es oft um unausgesprochene Worte geht, um obligatorische und oftmals verwirrende Höflichkeit, nur hinter dem Rücken geäußerte Kritik, Miniatur-Diktatoren, sich anstauende Wut und Gefühlsexplosionen, harsche und vernichtende Urteile, und natürlich die Tür, die unweigerlich zuknallt, sozusagen die letzte Machtdemonstration – gefolgt von der bitteren Enttäuschung über „die Landsleute“, und dann: die allgemeine Scheu vor jeglichem Teamwork. Ein deutscher Teilnehmer lächelt über meine Erfahrungen und meint, das sei alles auch sehr deutsch. „Hab ich alles im Arbeitsleben erfahren müssen, in meinem urdeutschen Umfeld!“ Irgendwie tröstet es mich, das von einem Deutschen zu hören, der sich in ein mehrheitlich iranisch besetztes Diskussionsforum getraut hat. Aber der Reihe nach.

Beobachten, nicht urteilen!

Dr. Abbas Abtahi fängt unsere Sitzung mit einer wissenschaftlichen Einführung an. Er referiert über unsere biologische Fähigkeit zu Empathie, Kommunikation und Kultur. Über die biologische Besonderheit, wenn bestimmte Gefühle in Mitmenschen nicht mehr erkannt werden können. Besonders zwei Dinge sind mir im Gedächtnis geblieben: Einmal die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Ein Konzept, das Menschen ermöglichen soll, besser miteinander zu kommunizieren – durch eine Grundhaltung, bei der eine wertschätzende Beziehung im Vordergrund steht. Und das gehe, so Rosenberg, durch Beobachtung, Formulierung des Gefühls, des Bedürfnisses und schließlich der Bitte. In einer gewaltfreien Kommunikation gebe es kein moralisches Urteil über den Kommunikationspartner. „Die höchste Form der Intelligenz ist es, zu beobachten, und nicht zu urteilen“ – dieses Wort von Krishnamurti bleibt mir schließlich hängen.

Und dann fällt mir noch etwas auf – eine wissenschaftliche Erkenntnis, die ich so schon einmal im realen Leben gespürt habe. Es geht um das, was mit unseren Gefühlen passiert, wenn wir in einer Masse sind, also „Gefühlsansteckung“ – ein spontaner und häufig epidemisch anwachsender Affektaustausch von Menschen, erklärt Abbas. Ich erinnere mich an Situationen, wo ich durch die aggressiv-irrationale Grundstimmung in einer Gruppe selber aufgekratzt und aggressiv wurde. Manchmal sind also auch Gefühle ansteckend – interessant!

„Iraner wollen mich verändern. Deutsche lassen mich einfach in Ruhe.“

Was nun „konfliktfähig“, „kritikfähig“ und „kommunikationsfähig“ bedeutet, das versuchten wir anhand verschiedener kleiner Lebenssituationen zu ergründen. Und vor allem fragten wir uns, ob – in einem iranischen Umfeld – wir alle dünnhäutiger, verletzlicher, urteilender und emotionaler kommunizieren. Oder ob das nur eine oberflächliche kulturalistische Zuschreibung ist?

Eine iranischstämmige Teilnehmerin erzählt, sie gehe nur ungern zum iranischen Gemüseverkäufer um die Ecke. Jedes Mal wenn sie dort einkaufe, schaue die Verkäuferin sie an und sage in typisch persischem Lamento: „Meine Güte, sieht man Sie auch mal wieder, Sie waren ja schon lange nicht mehr hier!“. Irgendwie klinge das wie ein Vorwurf hinter einer Fassade von Höflichkeit. „Deutsche lassen mich in Ruhe. Aber Iraner wollen mich die ganze Zeit verändern. Das ist kraftraubend!“

Eine andere Teilnehmerin erzählt, wenn sie sich streite mit ihrem Mann, dann auf Deutsch – in dieser Sprache könne sie besser argumentieren. Und sich besser distanzieren. Einer bekräftigt, dass in der iranischen Gemeinschaft einfach das Urvertrauen fehle. Und das genau das die Kommunikation erschwere. Und in der Schule und Universität lerne man eben eher auswendig, als seine Meinung zu formulieren und Kritik sachlich zu äußern.

Ein deutsche Teilnehmerin erzählt, sie sei im Iran immer ganz verwirrt von der Höflichkeitsettikette. Wenn Höflichkeit vor Ehrlichkeit gehe, sei das höchst anstrengend. „Schein-Höflichkeit stabilisiert die Machtverhältnisse“, erklärt Abbas daraufhin. Im Iran habe man gelernt, nicht direkt Fragen zu stellen, nicht direkt zu reden. Die Geschichte des Landes sei auch eben auch geprägt von der Angst, aus einer Gruppe ausgestoßen zu werden – und was sei ein Individuum schon wert in der Wüste? In der Wüste dürfe man nicht einfach so sein, wie man ist…! „Außerdem: Die iranische Geschichte ist gewaltbesetzt – und wo Gewalt, Ausschluss und Verbannung, und Machtmissbrauch herrschen, da gibt es einen echten Verlust der Kommunikation. Das Gehirn muss sich schützen bei so einer Erfahrung. Es macht im wahrsten Sinne des Wortes dicht!“ Einiges erklärt sich also aus unserer spezifischen Kulturgeschichte, erfahre ich. Anderes ist universal.

Wir erzählen auch über unsere Lernerlebnisse. Dass es oft besser sei, eine Nacht über eine Erfahrung zu schlafen, anstatt gleich mit der Kritik loszulegen – und die Kommunikation zu ruinieren. Dass man lieber leere Höflichkeitsfloskeln abschaffen und durch Respekt ersetzen sollte. Dass man sich besser einfühlen müsse in unsere Mitmenschen – auch unsere Erfahrungen haben uns zu dem gemacht, was wir sind. Dass wir im DIWAN die Fähigkeit lernen wollen, konstruktive Kritik auszuüben, Kritik auszuhalten und anzunehmen, und nicht nachtragend zu sein. Dass wir Beobachtungen von Bewertungen trennen wollen. Dass wir Ärger vollständig – und gewaltfrei – ausdrücken, statt ihn heimlich wirken zu lassen. Und schließlich: dass offenes und klärendes Streiten verbinden kann. Eine sehr nachdenkliches machendes Rundes Zimmer war das dieses Mal – weniger eins zum Argumentieren und Diskutieren. Eher ging es um unsere ganz persönlichen Erfahrungen, unsere Suche nach Wegen, mit Kritik und Konflikt täglich gut umzugehen. Noch ein Sprichwort, eines von vielen, die wir an diesem Nachmittag hörten, zum Mitnehmen:

Man ist in den Maße zur Freiheit reif, als man zur Selbstkritik fähig ist.

Das nächste Runde Zimmer findet am Samstag, den 17. März, 17 Uhr statt. Stimmen Sie selbst über das Gesprächsthema ab: auf facebook finden Sie unser Debattierforum.