Ein Rückblick auf die erste DIWAN-Kulturkonferenz in Köln
Programmheft Konferenz 16./17.12.2011 (PDF)
Eröffnet wurde unsere Konferenz von der Kölner Bürgermeisterin Angela Spizig, die das DIWAN-Projekt seit den Anfängen begleitet und unterstützt. In ihrem Grußwort erinnerte sie sich an ihre eigenen Erfahrungen mit dem Iran, an die siebziger Jahre, die auch Angela Spizigs eigene Protest-Biographie geprägt haben, und ihre ersten Begegnungen mit Iranern in Köln. Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, dank deren Förderung die Konferenz überhaupt erst möglich geworden war, sprach in seiner Eröffnungsrede über das Bestreben der Bundeszentrale, den Iran in all seinen Facetten darzustellen, um endlich hinter die eingängigen „Schurkenstaats-“ Schlagzeilen zu blicken. Die Bundeszentrale habe sich 2011 mit Publikationen, Online-Dossiers und Kinoreihen mit dem Iran beschäftigt, um den Blick auf die interessanten Entwicklungen in der Gesellschaft zu öffnen. Der Intendant der Kölner Oper schließlich, Uwe-Eric-Laufenberg, in dessen Haus die Veranstaltung stattfinden durfte, erzählte von seinem Traum, eine Oper im Iran aufzuführen. Nicht zuletzt habe der Film „Nader und Simin“ sein Bild vom Iran beeinflusst, er sei noch neugieriger geworden auf das Land, habe noch mehr Fragen, auf die er sich im Laufe der Konferenz Antworten erhoffe.
Panel I: Aktuelle Konflikte und Potentiale
Ironie und Paradoxie: Das Spiel mit den Grenzen
Das Leitmotiv des DIWAN ist die Begegnung der Kulturen – und so war es auch kein Wunder, dass der literarische Übersetzer Ali Abdollahi, der aus Teheran nach Köln gekommen war – quasi ein Experte in Sachen deutsch-iranischem Kulturtransfer – das erste Impulsreferat hielt. Er analysierte den Einfluss der übersetzten Literatur auf die iranische Gegenwartsliteratur: das Aufkommen einer sachlichen, politisch-sozialen Lyrik, die in den vergangenen vierzig Jahren entstanden ist. Die Integration auch niederer Umgangssprache in der neuen Lyrik, und das Auftauchen eines klar identifizierbaren weiblichen Subjekts – weibliche Prosa und Poesie findet inzwischen große Beachtung im Iran. Abdollahi verwies außerdem auf die begeisterte Rezeption philosophischer Übersetzungen im Iran, besonders jene von Nietzsche und Heidegger – ein Phänomen, das er weder in der Türkei noch in Indien so beobachten konnte.
Isabel Herda, Kuratorin am Freiburger Museum für Neue Kunst, die 2006 die Ausstellung Iran.com mit initiiert hatte, legte den Fokus auf die neue Künstler-Generation, die sich zumeist in den kleinen versteckten Galerien Teherans etabliert hat: „Kunst, die weh tut, und nach dem Zustand der Gesellschaft fragt, die sich in Zwischenräumen zwischen Erlaubten und Verbotenem bewegt und staatliche Schranken versus globale Verbundenheit thematisiert“. Vor 2005 durften jene Künstler erstmals im Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst ausstellen, das Ausland zeigte plötzlich großes Interesse, bis heute sei dieses Interesse ungebrochen, erklärte Herda. Die Paradoxie einer Gesellschaft, die sich der Moderne nicht entziehen kann und will, und zugleich die Anpassung an das islamische System – das seien die zentralen Produktionsbedingungen und das Thema der jungen Künstler. Ebenso wie diese Doppeldeutigkeit sei auch der Blick des Westens auf den Iran ein wichtiges Element.
Roberto Ciulli, Intendant im Mülheimer Theater an der Ruhr, erzählte von seinen Erfahrungen mit der Zensur im Iran. Ciulli, der dreissig Stücke aus dem Iran hierzulande vorgestellt hat und unter schwierigsten Umständen ein Kulturabkommen zwischen seinem Theater und dem iranischen Kultusministerium schloss, reiste zum ersten Mal 1994 ins Land. Die Qualität der Inszenierungen beschreibt er als „wider Erwarten hoch, auf dem Niveau eines europäischen Festivals. Es gibt kein Land im Nahen Osten und Zentralasien, das so etwas vollbringen kann“.
Der Literaturkritiker, Schriftsteller und Dokumentarfilmer Nasser Zeraati aus Göteborg beschrieb, wie er kurz nach der Revolution im Haus seines Vaters seine Tagebücher und gesammelten Romane buchstäblich zu Grabe trug. Während Zeitgenossen aus Angst vor der Revolutionsmiliz ihre Büchereien verbrannten, „beerdigte“ Zeraati seine Bücher – auch, um sie zu schützen. Zwanzig Jahre später holte er sie wieder aus der Erde hervor, und hielt diesen Moment mit der Kamera fest. Und heute – wieder in einer Zeit härtester Einschränkung und Zensur – erklärt er, sei die literarische Sprache noch deutlicher geworden, überraschend viel werde ausgesprochen, festgehalten, Internet und Handykameras sei Dank. Die achtziger Jahre seien von Krieg, Repression, Pseudonymen geprägt, selbst das Papier sei rationalisiert gewesen. Heute würden kritische Bücher eben im Ausland gedruckt, oder fänden als PDF-Datei ihren Weg in den Iran, die Untergrund-Literatur erlebe einen Boom.
Ali Abdollahi ergänzte, dass die Buchauflagen im Iran auch aus wirtschaftlichen Gründen mittlerweile zurückgingen, aber auch weil noch nie soviele Buchtitel auf dem Markt seien – es gebe mehr als 5000 Herausgeber, eine Zahl, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen sei. Er betonte, dass die Zensur bei philosophischen Übersetzungen weniger in Erscheinung trete, auch bei den Werken von Kafka, bei klassischer Dichtung und klassischen Romanen würde kaum ein Wort kritisiert, bei Übersetzungen sei der Spielraum größer, weil die Handlung im Ausland spiele. Alireza Darvish, Maler und Animationszeichner, der in Köln lebt, führte absurd erscheinende Zensurbeispiele vor. Er zeigte Bilder des Franzosen Paul Gauguin, die er in der Teheraner Unibibliothek entdeckt hatte während seines Kunststudiums – er wunderte sich damals über die vielen schwarz gekleideten Frauengestalten, bis er begriff, dass der Zensor über die Werke gegangen war. Seine eigenen Zeichnungen mussten zuweilen anders dargestellt werden, beispielsweise wurde eine Figur von der Horizontalen in die Vertikale gedreht, angeblich, um ihr Streben zu Gott zu verdeutlichen. Darvish erzählte, er habe in einem schwierigen Moment das Land verlassen, in einer Zeit, als Iran kaum Kontakt mit der Welt hatte – und im Exil habe er wie alle Künstler eine neue Ausdrucks-Sprache finden müssen, sei neu geboren worden, mittlerweile kommuniziere er auch außerhalb Deutschlands ganz normal und fühle sich nicht mehr im Exil. Eine Erfahrung, die Roberto Ciulli unterstrich, dessen Stücke zuweilen in Teheran besser rezipiert wurden als in Remscheid. Im Moment jedoch gehe er auf Distanz – auch unter dem Eindruck der großen Kluft zwischen Gesellschaft und Regime. Isabel Herda verwies ebenso auf die schwierigen Bedingungen visueller Künstler heute. Eine Ausstellung wie „Iran.com“ sei heute, fünf Jahre später, nicht mehr möglich. Man müsse noch umsichtiger sein, damit im Ausland ausgestellte Künstler nicht nach ihrer Rückkehr Repressionen erfahren.
[divider scroll_text=”SCROLL_TEXT”]
Get-Together und Kino im Forum für Fotografie
Am vorletzten Tag der Iran-Ausstellung von Paolo Woods durfte der DIWAN erneut im Kölner Forum für Fotografie zu Gast sein, um die Konferenzteilnehmer bei einem Get-Together zu begrüßen, und beim persönlichen Gespräch einander kennenlernen zu lassen. Am Abend traf auch die iranische Filmemacherin und Lyrikerin Geranaz Mousavi aus Melbourne ein, sie hatte -unter allen Gästen- die weiteste Anreise zur Konferenz. Mousavi stellte – erstmals in Köln – ihr Spielfilmdebüt „My Tehran for sale“ vor. Ein Film, der die urbane Jugendkultur und die schwierigen Existenzbedingungen von Schauspielern und Künstlern im Iran vorstellt – und die Themen der Konferenz somit ideal ergänzte.
„ My Tehran for sale“ dringt tief ein in die Lebensrealität der jungen Iraner, die sich öffentlich staatlichen Zwängen anpassen, während sie im Privaten ihren Freiheitsdrang ausleben – ein Doppelleben, das Ehrlichkeit und Leidenschaft nur hinter verschlossenen Türen zulässt. Eine junge Schauspielerin muss sich anpassen und unterordnen – ihrem autoritären Vater, dem Kleiderzwang, dem Verbot westlicher Musik, der Unfreiheit, von der sie schließlich ganz direkt betroffen ist, als ihr die Behörden das Theaterspielen untersagen und ihr persönlicher Lebensweg in eine Sackgasse gerät und die heimlichen, ausschweifenden Partys der Teheraner Jugend immer gefährlicher werden. Was Bahman Ghobadi in „No One Knows About Persian Cats“ begann, führt Moussavi in “My Tehran For Sale” weiter – sie zeigt eine überwiegend junge, liberal orientierte Community, die tagtäglich auf ein reaktionäres System prallt. Als Marzieh einen iranischstämmigen Australier kennenlernt und sich verliebt, und er vorschlägt, das Land zu verlassen und in Freiheit zu leben, brechen die inneren Konflikte auf. Im anschließenden Gespräch erzählte die Regisseurin über die Entstehung und Erzählweise des Films. Er wurde 2008 zwar im Iran gedreht – als Dissertationsprojekt von Geranaz Mousavi, die in Australien studiert -, er hatte offiziell eine Produktionserlaubnis, jedoch keine Ausstrahlungs-Erlaubnis. Nur über den Schwarzmarkt wurde der Film im Iran dann berühmt – und das Echo, das Mousavi aus ihrer Heimat erhielt, war gewaltig. Die Filmemacherin betonte, dass sie mit ihrem Debüt sich endlich den Geschichten der urbanen Mittelschicht und deren „Untergrund-Kultur“ widmen wollte, da das iranische Kino lange Jahre eher das Leben auf dem Land thematisiert hatte. Sie habe nach einer cineastischen Sprache gesucht, um unausgesprochene Worte und zerbrochene Ideale auf die Leinwand zu bringen. In ihrem Filmstudium beschäftigt sie sich mit dem Einfluß der Lyrik auf das Kino. „My Tehran for sale“ sei denn auch geprägt von einer „multi-zentristischen, femininen, peripheren Erzählweise“, erklärte Mousavi, es gebe viele autonome und doch miteinander verbundene kleine Geschichten und viele Zeitsprünge.
[divider scroll_text=”SCROLL_TEXT”]
Panel II: Generationenkonflikte
“Ali Kutchulu” ist erwachsen geworden
Ein Rückblick auf die DIWAN-Kulturkonferenz am 17. Dezember 2011
Videoclips aus der Teheraner Untergrund-Musikszene eröffneten die zweite Diskussionsrunde, die sich mit dem Thema „Generationenkonflikte“ auseinandersetzte. Im ersten Video, von der Rockband „Nahan“, wird der Werdegang eines iranischen Kinderserien-Helden gezeigt, der erwachsen geworden ist. „Der kleine Ali“ war Protagonist einer Serie in den achtziger Jahren. Sie Serie handelte vom Leben eines Jungen, dessen Vater an der Front kämpfte – wäre es nach dem Staatsfernsehen gegangen, so gäbe es jetzt viele systemtreue kleine Alis. Doch der erwachsene Ali ist – so singt Nahan – desillusioniert, depressiv und arbeitslos. Er wünscht sich nichts sehnlicher als wieder Kind zu werden. Der zweite Videoclip ist von der iranischen HipHop-Sängerin „Salome“, die zwar im Untergrund singt, aber dank des Internet weltweit viele Fans hat. Salome singt in „Ankabut / Die Spinne“ von ihrer eigenen Orientierungslosigkeit. Sie weiss nicht mehr, wer oder was sie ist. Sie rebelliert und ist zugleich gehorsam. Sie verpflichtete sich jeden Morgen zu ihren Idealen – doch der Alltag macht sich nichts aus ihrer selbst verordneten Integrität. Salome singt über das Lebensgefühl einer ganzen Generation.
Der Soziologe Saeed Paivandi, der in Frankreich an der Universität Nancy lehrt, beschäftigte sich in seinem Impulsreferat mit einer „iranisierten Welt und einem globalisierten Iran“. Die iranische Jugend – 70 Prozent der Bevölkerung sind unter dreißig Jahre alt und haben Revolution und Krieg kaum durch Miterleben verinnerlicht – lasse sich durch drei Entwicklungen beschreiben, so Paivandi: Sie sei global geworden, ihre Identität sei nicht durch starre Grenzen festgelegt, ihr Verlangen nach Menschenrechten sei universell definiert. Ebenso sei diese junge Generation wesentlich individualistischer und autonomer geprägt als ihre Vorgänger. Ihr drittes Merkmal schließlich sei die Feminisierung – in einer patriarchalen Gesellschaft. Junge Frauen definierten sich immer mehr als „Bürgerinnen“ denn als Ehefrauen und Töchter. Einen Generationenkonflikt könne man zwar in jeder Gesellschaft ausmachen, doch sei dieser Konflikt in Iran besonders ausgeprägt, da die Paradoxie des Innen und Außen, Öffentlichen und Privaten, der Staatsideologie und der zivilen Initiativen besonders groß sei. Die Lyrikerin und Regisseurin Geranaz Mousavi, Jahrgang 1974, die im Iran aufwuchs und in Australien studiert, führte Paivandis Beobachtungen weiter. Sie sprach von der Entwicklung einer Patchwork- bzw. Collage-Identität in der jungen Generation, die sich jedem eingängigen Repräsentationsmuster entziehe. Während die ältere Cineasten-Generation oft ihre Filme in der abgelegenen, exotischen Provinz spielen ließen, in einem Iran der Stämme, konzentrierten sich die jungen Filmemacher nun auf die urbane Jugend der Mittelschicht, und ihre Untergrundmilieus, so Mousavi. Der allwissende Erzähler trete in den Hintergrund, das lineare Erzählen werde gesprengt, eine „Regenbogen-Identität“ gebrochener Helden und eine Geschichte ohne „moralische“ Schlussfolgerung entwickle sich. Auffällig sei eine neue, nie dagewesene Generation von FilmemacherInnen wie Mithra Farahani, Sepideh Parsi, Mania Akbari. Dieses Kino finde oft nur auf dem Schwarzmarkt oder auf Youtube statt, sei aber – auch für den westlichen Betrachter – eine wichtige Ergänzung zu jenen Filmen, die offiziell ihren Weg zu internationalen Festivals und zum Weltmarkt finden.
Von Hossein-Partys und Facebook-Schönheiten
In der anschließenden Diskussion wurde der Blick erweitert: Eine westliche Betrachterin – die Fotografin Ulla Kimmig, die als einzige westliche FotografIn acht Male in den Iran gereist ist – erzählte über ihre Begegnungen mit der Jugend, ebenso wie der Tänzer und Schauspieler Shahrokh Moshkin Ghalam, der Mitglied der Comédie Francaise ist und als Teenager nach Paris kam. Alle Panelteilnehmer bezogen sich immer wieder auf die Subkultur der Jugend: Beispielsweise sei der Tänzer Shahrokh Moshkin Ghalam in Irans „Untergrund“ wohl bekannt, obwohl kein einziges Staatsmedium seine Auftritte zeigt. Die Kultur der Diaspora habe großen Einfluss auf die Iraner im Land, Moshkin Ghalam sei ein perfektes Beispiel für „das globalisierte Iran und die iranisierte Welt“, so Said Paivandi, er exportiere sein Iranisch-Sein in die ganze Welt und erlebe gleichzeitig die Rückkopplung mit der ersten Heimat. Geranaz Mousavi erzählte von ihren Erfahrungen beim Casting der Darsteller ihres Films, wo ihr zwei männliche – professionelle- Tänzer begegnet seien, die „im Untergrund“ auftreten. Dies sei ein Zeugnis dafür, dass in den vergangenen Jahren der Tanz sich von einer im Iran traditionell kulturell minderwertig betrachteten Ausdrucksform gelöst und als Disziplin und Kunst etabliert habe, so Mousavi und Moshkin Ghalam.
Moshkin Ghalam steht auch beispielhaft für eine junge Exil-Generation, die aus dem Iran herausgerissen wurde, aber in der Diaspora ihr Iranisch-Sein gefunden und entfaltet hat. Der Choreograph greift ganz bewusst auf persische Epen und Legenden zurück, auf klassische persische Musik – und erkundet damit sein eigenes kulturelles Erbe. Über Facebook bekommt er regelmäßig begeistertes Feedback aus dem Iran. Er erklärte, dass die staatlich verordnete Moderne der Schah-Zeit – die Zeit seiner Eltern – eine nur oberflächliche Auseinandersetzung mit westlicher Kultur gewesen sei, während die heutige Jugend die Moderne im Untergrund erkunde und entwickle – eine durch und durch authentische Entdeckung sei das, auch eine authentische Wertschätzung der Ästhetik. Zur Erheiterung der Publikums erzählte der Tänzer persönliche Anekdoten über seine eigene Auseinandersetzung mit den Eltern, die militärisch-streng gewesen seien und einen Tänzer als Sohn kaum akzeptiert hätten – während wohl die heutigen Eltern im Iran ironischerweise damit weniger Probleme hätten, wenn der Nachwuchs eine solche Beschäftigung ergreift. Moshkin Ghalam nutzte das Podium, um mit seiner Eltern-Generation ins Gericht zu gehen. Die Kinder, die im Westen aufgewachsen seien und von ihren Eltern lediglich einen leeren Superlativ als kulturellen Wert mitbekommen hätten – „der Iran sei das stolzeste Land mit den meisten Erfindungen und der reichsten Geschichte“ – würden sich nun wie er auf die Suche nach ihrem Iranisch-Sein machen, weil sie an die Erzählungen der Eltern nicht mehr glaubten. Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung sehe er bei den jungen Männern im heutigen Iran: viele legten gesteigerten Wert auf ihr Aussehen, zupften ihre Augenbrauen, drückten sich durch ihre Kleidung und ihre Haare aus – ein nie dagewesener Trend, den die Fotografin Ulla Kimmig festzuhalten suchte. Kimmig hatte sich zuletzt 2009 mit der Jugend Irans beschäftigt – und für ihre Reise den schiitischen Trauermonat Muharram genutzt, da just zu dieser Zeit die Jugend eine legale Nische findet, um sich auf der Straße selbst darzustellen. Es gehe dann weniger um das gegenseitige Kennenlernen als um das „zur-Schau-stellen“ des Individuums, das Präsentieren von toupierten und gegelten Frisuren und taillierten schicken Mänteln mit groß prangenden Mode-Labeln.
Bilder der in Teheran lebenden Malerin Homa Arkani wurden gezeigt, die eine Serie über Großstadtfrauen entworfen hat: grotesk anmutende, grell geschminkte Gestalten, die einen imaginären westlichen Look imitieren. Für Geranaz Mousavi illustrieren diese Pop-Art-inspirierten Werke, wie die junge Generation aus dem Mangel, aus dem Nichts ein Instrument macht, um Gehör zu finden: „Die Jugend ist überzeugt von der Metamorphose, die durch Druck von oben erzeugt wird“. Der Soziologe Said Paivandi, der als einer der ganz wenigen Forscher im Westen Irans Bildungssystem bestens kennt, erörterte die Folgen der Re-Islamisierung der Schulen und Universitäten seit 2009. Seiner Ansicht nach würde auch diese Islamisierungswelle scheitern. Frauen und Männer an den Hochschulen zu trennen, laufe ins Leere: Universitäten seien per se kritische Denkfabriken, und im Iran – so Filmemacherin Mousavi – gebe es innerhalb des offiziellen Bildungswesens längst die „Parallelschule“ und die „Parallel-Uni“: In den Nischen formiere sich das unabhängige Denken, in Lesekreisen und Kulturzirkeln. Als besondere Fähigkeit der jungen Generation hob Mousavi die „Kraft des gegenseitigen Aushaltens“ hervor, und eben auch das Aushalten jener Jugendlichen, die nicht zur Avantgarde gehören wollten, sowie den Abschied der heutigen Jugend von bipolaren Weltbildern.
[divider scroll_text=”SCROLL_TEXT”]
Panel III: Geschlechterrollen
Was macht einen Mann zu einem Mann?
Was macht eine Frau zu einer Frau?
Ein Rückblick auf die DIWAN-Kulturkonferenz am 17.12.2011
„Im gegenwärtigen Iran wird das Thema „Geschlecht“ instrumentalisiert, um Macht zu zementieren. Die Befähigung des Menschen durch den Staat, die Wandelbarkeit seiner Identität und damit auch seiner ganz persönlichen Geschlechtsidentität zu erfahren, mit ihr zu spielen, sie auszuleben – diese Befähigung wird hier wie in vielen anderen Ländern der Welt nicht nur sabotiert, sie existiert erst gar nicht.” erklärte die Politikwissenschaftlerin und Künstlerin Melanie Nazmy-Ghandchi in ihrem Impulsreferat. Nazmy-Ghandchi hinterfragte Geschlechterrollen im Iran – und stellte dabei Ausschnitte aus der von ihr kuratierten Ausstellung „Naqsh“ (persisch: Abbild, Muster, Rolle) vor, die 2008 im Berliner Pergamon-Museum gezeigt worden war. Arbeiten iranischer Künstler waren damals umrahmt worden von soziologischen Betrachtungen zu den Themen Frauenbewegung, Feminismus, Männlichkeit, Transgeschlechtlichkeit, weibliche und männliche Rollenbilder. Bei „Naqsh“ sei es darum gegangen, eingefahrene Klischees zu relativieren, und Reflexionen anzuregen zum Thema Gleichberechtigung. Die Kuratorin zeigte parallel Arbeiten, z.B. die fünfzehn geschlechtslosen Babys, eine Installation der Teheraner Künstlerin Bita Fayyazi, oder ein riesiges Gemälde von Ahmad Morshedloo, der „gnadenlos realistisch“ ältere Frauen im schwarzen Taschador und Männer im Unterhemd gemalt hat, die merkwürdig fremd nebeneinander stehen. Der in Berlin ansässige Künstler Ali Reza Ghandchi führte diese Gedanken weiter. Bei „Naqsh“, erklärte er, sei er mit der in Teheran lebende Bildhauerin Maryam Salour in einen künstlerischen Dialog getreten: Ihre bronzene Skulptur, Leib gewordene weibliche Zerbrechlichkeit, wird in seiner Videoinstallation durch eine Männerhand beschmutzt und in Fesseln geschlagen. So zumindest nimmt es der Betrachter wahr. Die spannende Frage, die Ghandchi dem Publikum stellte: Wäre die Interpretation die gleiche, wenn eine weibliche Hand die Skulptur berühren würde? Moderatorin Nicoletta Torcelli bat anschließend die Schriftstellerin Siba Shakib, einen Ausschnitt ihres Romans „Samira und Samir“ vorzulesen. Ihre Geschichte aus der Bergwelt des Hindukusch handelt von einem Ehepaar, dessen Erstgeborenes kein Junge, sondern ein Mädchen ist. Und weil es eine Schande ist, zuerst ein Mädchen auf die Welt zu bringen, wird sie kurzerhand zum Jungen „umdeklariert“ – ein Schicksal, das nach Shakibs Recherchen durchaus üblich ist in Afghanistan. In ihrem Roman „Eskandar“ hat sich Shakib mit den pädagogischen Rollenzuweisungen im Iran beschäftigt, die nichts über den Islam aussagten, sondern allein ein Instrument der Machtproklamation seien, so Shakib. Der biologische Körper ist auch immer ein sozialer Körper – diese Grunderfahrung machen auch die Musikerinnen Irans. Obwohl es, so erklärt der Oud-Spieler Arman Sigarchi, immer Frauen in der klassischen Musik gegeben hat. Unter den Safwidenherrschern spielten Frauen die Laute, und eine der ersten Frauen, die den Schleier ablegte, war Musikerin. Nie sei die weibliche Musik Irans am Ende gewesen, selbst wenn klassische Solo-Sängerinnen wie Hengameh Achawan und Parisa seit der Revolution nicht mehr öffentlich gehört werden dürfen. Die Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi ergänzte Sigarchis Ausführungen: Nach der Revolution, erklärte sie, seien Musikschulen geschlossen und im Rundfunk nur noch Märsche und geistlicher Gesang erlaubt worden. Doch die Bevölkerung konnte auf Musik nicht verzichten, und das System musste schließlich Kompromisse eingehen. Die Lieder der iranischen Diva der fünfziger Jahre, Delkash, wurden in den vergangenen Jahren dann eben von einem männlichen Sänger neu aufgelegt. Schließlich erlaubte das Regime Frauengesang im Chor, begleitet von Männern, das Musik- und Gesangsstudium wurde wieder erlaubt, Solo-Konzerte von Frauen für Frauen fanden statt, wenn sie auch gelegentlich von informellen fundamentalistischen Zirkeln aufgelöst wurden. Ebadi erläuterte, dass Musik im Islam nie verboten war. Vor zweihundert Jahren habe ein Geistlicher den Koran gar mit einer Laute vorgetragen. Die Derwische hätten durch ihren Tanz und Gesang den Zugang zu Gott gefunden.
Die Offenbacher Künstlerin Parastou Forouhar hat sich in ihren Werken immer wieder mit dem weiblichen Körper auseinandergesetzt: ein Terrain, das vom Gottesstaat reglementiert und stark überwacht wird. Große und kleine Schrifttafeln in der Öffentlichkeit erinnerten uns an diese Reglementierung: „Schwester!“ heißt es da beispielsweise, „dein Hedjab ist meine Ehre“ oder „meine Fahne!“ oder sogar „Fahne des Islams!“. Das Subjekt dieser Sätze sei immer männlich und gläubig, erinnerte Forouhar. Die Künstlerin stand und steht weiter in Kontakt mit Frauen, die als Aktivistinnen die Einrichtung eines Frauenmuseums in Teheran fordern. Forouhars Kunst lotet immer wieder die Ambivalenz männlich besetzter Gewalt und weiblich besetzter Zartheit und Schönheit aus. Unmittelbar nach der Revolution, erinnert sich Forouhar, sei der feminine Eros aus dem öffentlichen Raum verbannt worden, die Frauen zu „schwarzen Löchern“ degradiert worden. Doch Stück für Stück erobere das Feminine sich seinen Platz zurück. Forouhar zitierte die iranische Frauenrechtlerin Jaleh Ahmadi: „Da die Islamische Republik patriarchal und männlich geprägt ist, ist die Opposition automatisch weiblich – und gewaltablehnend.“ Besonders interessant findet die Künstlerin die Entwicklung der jungen Männer, die zunehmend nach neuen Modellen der Männlichkeit suchten, fernab von System-Verordnungen. Bei ihren regelmäßigen Reisen in den Iran stellt sie fest, dass „der Zweifel“ sich im männlichen Selbstbild manifestiert, dass die Grenzen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit flüssiger, hybrider werden. Wenn Männer sich zunehmend – genauso wie Frauen – einem Schönheitsdiktat unterwerfen würden, dann – so ergänzte Ali Reza Ghandchi – enthalte dies auch ein positives Moment: Es handle sich immerhin um eine Rollenbrechung. Parastou Forouhar ergänzte, dass diese Rollenbrechung zum Beispiel im Protest gegen den Studentenführer Majid Tavakoli zum Ausdruck gekommen sei. Das System habe Tavakoli die männliche Ehre rauben wollen, indem es ihm Frauenkleider – einen Tschador – angezogen habe. Doch etliche Männer hätten daraufhin als Zeichen der Solidarität einen Schleier über den Kopf gezogen und sich für das Internet fotografieren lassen – ein bemerkenswerter Protest.
Shirin Ebadi definierte schließlich das patriarchale System, das die Gleichheit der Geschlechter nicht akzeptieren kann, als eigentliches „Feindbild“. Dieses System negiere Homosexualität, denn Männer, die Männer liebten, würden männliche Stärke aufweichen, und Frauen, die Frauen liebten, würden das Machtmonopol der Männer ebenso bedrohen. Die Gesetze des gegenwärtigen Iran atmeten diesen „patriarchalen Ungeist“ und machten sich z.B. die Psychologie zunutze, um zu belegen, dass eine Frau aufgrund ihrer angeblich sensiblen Natur zwar Lehrerin, aber nicht Richterin werden könne. „Man sollte sich davor hüten, zu denken, dass alle gesellschaftlichen Probleme beiseitigt würden, wenn nur die Religion abgeschafft würde, so Ebadi. Nein, das patriarchale System ist es, das überwunden werden muss.“
[divider scroll_text=”SCROLL_TEXT”]
Bildergalerie
[fancygallery id=’zwischen-den-zeilen’]
[divider scroll_text=”SCROLL_TEXT”]
Lesen und hören Sie Medienstimmen zu unserer Konferenz:
- Deutsche Welle: Kölner Oper, eine Begegnung von Iranern die zwischen den Zeilen lesen wollen(Auf Persisch)
- Deutsche Welle: Shahrokh Moshkin Ghalam: “Mein Tanz hat kein Geschlecht ” (Auf Persisch)
- Deutsche Welle: Bilder-Slide
- News-Gooya: “Zwischen den Zeilen”: Eine Reportage von von Akhtar Ghasemi (Auf Persisch)
- News-Gooya: Eine Bildreportage von Akhtar Ghasemi. Der erste Tag (Auf Persisch)
- News-Gooya: Eine Bildreportage von Akhtar Ghasemi. Der zweite Tag (Auf Persisch)
- Handelsblatt: Iranische Kunst: Das subtile Mittel Ironie
- Deutschlandfunk: Was einen echten Perser ausmacht
- WDR3: “Zwischen den Zeilen. Iranisch-Sein …”
- WDR5: Kunst und Kultur im Iran Eine Konferenz im Kölner Opernhaus