Ein persönlicher Rückblick auf das Runde Zimmer am 15. April 2012


Für einige Teilnehmer ist das Phänomen nicht wirklich ein Problem – in einem Zeitalter der Globalisierung, des Lebens im Exil und einer daraus folgenden „Identität im Fluß“ sei das Thema eher kein Thema. Eine Teilnehmerin bemerkte, dass Nationalismus im Iran etwas positives bewirken könne – indem er die geringe gesellschaftliche Solidarität im Iran, das geringe soziale Vertrauen – übrigens typisch in einer Diktatur – positiv beeinflussen könne.
Der Nationalismus habe historisch den Aufbau der Nation („nation building“) ermöglicht, ebenso die Modernisierung oder das Entstehen einer sozialen Bewegung, die zum Beispiel in der Verstaatlichung der Erdölindustrie gipfelte. Und als „Nationalbewusstsein“ sei Nationalismus etwas schönes – etwa wenn die iranische Fußball-Nationalmannschaft spiele, oder ein iranischer Regisseur einen Oscar bekomme. Negativ werde er, wenn er „übergriffig“ werde, also eine andere Nation verletze.
Eine Antwort auf kulturelle Aussichtslosigkeit?
Einige Teilnehmer berichteten, dass Nationalismus im Iran, aber auch bei Iranern im Ausland, kontinuierlich zugenommen habe. Oft durch das Gefühl, alle Zuversicht in Gegenwart und Zukunft verloren zu haben aufgrund der schlechten politischen und wirtschaftlichen Lage. Die Atomfrage sei ein Beispiel für den wachsenden Nationalismus. Der Slogan der Regierung – „Nuklearenergie ist unser selbstverständliches Recht!“ – illustriere das.
Im Ausland wiederum würden viele Iraner mit Stolz und einer gewissen Eitelkeit ihr Gastland über den Iran aufklären wollen – vor allem über die vorislamische Geschichte ihrer Heimat und das persische Großreich. Die verletzte Exilanten-Seele blicke da zurück – um sich in der Fremde nicht verloren zu fühlen. In diesem Zusammenhang berichtete ein Teilnehmer von einer Begegnung im Nationalmuseum in Teheran, wo ein Museumsführer nostalgisch in die Vergangenheit blickte und lamentierte: „Wenn ich mir die Persepolis-Ruinen anschaue, dann werde ich richtig traurig, dass wir so gar nicht mehr an unsere große Vergangenheit anknüpfen können“.

Sie würden gerne das Persische von allen arabischen Vokabeln befreien – wohlwissend, dass dann wohl niemand mehr den alten Hafis lesen könnte….Solche anti-arabischen Gefühle interpretierte eine Teilnehmerin einerseits als extrem, andererseits als „kulturellen Widerstand gegen das sich islamisch-arabisch gebende Regime“.
Einstellungen, die einer selbstkritischen Diskussion bedürfen. Eine Teilnehmerin erzählte: „Ich machte eine kleine Umfrage unter denen, die an der „Wir-solidarisieren-uns-mit-Afghanen“-Aktion im Netz mitgemacht hatten. Ich fragte sie, ob sie dasselbe für Araber machen würden. Schnell kamen viele negative Antworten.“ Kein Wunder: Viele Iraner reagieren empfindlich, wenn Araber vom „Arabischen Golf“ statt vom „Persischen Golf“ sprechen. Oder wenn Ausländer Iraner als „Araber“ bezeichnen.
Selbst das iranische Regime, bemerkten einige Debattierende, mache sich diese persisch-nationalistischen Gefühle zunutze – etwa wenn Präsident Ahmadinejad den russischen Präsidenten ausgerechnet vor einer Achämeniden-Kulisse empfange. Oder den Kyros-Zylinder bestaune. Raffinierte Propaganda, die gerade bei der Jugend verfange, so die Teilnehmer.
Vielleicht werde die nationalistische Weltsicht auch deshalb immer populärer, weil andere Narrative ausgeträumt worden seien – zum Beispiel der Islamismus oder der Marxismus. Der Liberalismus werde auch nicht zur Gänze angenommen. Man wolle eben etwas eigenes, etwas Iranisches.
Wir kamen überein: Das iranische Bild von den arabischen Nachbarn ist ein Knackpunkt in der Nationalismus-Debatte. Mindestens ebenso kritisch: die separatistischen Tendenzen im Vielvölkerstaat Iran – die Entfremdung von Azeris, Arabern oder Kurden vom iranischen Nationalbewusstsein und die Rückkopplung auf das Eigene als etwas Nicht-Iranisches. Eine deutliche Tendenz, auch sichtbar in den sozialen Foren, und hervorgerufen durch jahrelange absolutistisch-zentralistische Politik des Regimes. Eine Herausforderung für die Zukunft Irans, umso mehr für die Zukunft eines freien Irans. Mindestens zwei spannende Themen also für unsere nächsten Runden Zimmer… zu denen wir alle herzlich einladen!
